Marianne Gotz (Schulabschluss 1999)

Mit der Eröffnung der Freien Waldorfschule Cottbus 1991 hat auch mein Weg als Waldorfschülerin begonnen. Nachdem uns die Ausbildung meiner Mutti zur Waldorf-Horterzieherin für ein paar Tage nach Kassel gebracht hatte, wusste ich es genau: Ich wollte unbedingt auch zu „so einer Schule" gehen! Da es anfangs nur eine 1., 2., 3. und 6. Klasse gab, wiederholte ich freiwillig noch einmal die 6. und wurde zusammen mit meiner Schwester im Herbst eingeschult. Ursprünglich eine zurückhaltende „Staatsschülerin“, fand ich an der Waldorfschule Freude am Lernen und durfte mich entfalten - die Lehrer haben in mir einen lebenslangen Wissensdurst geweckt! Im Vergleich zu den vorherigen „anonymen Jahren“ an der POS war für mich das Gemeinschaftsgefühl dieser Schule einfach toll. Auch wenn wir uns damals oft sträubten, Matheformeln zu erarbeiten und Taschenrechner zu „verdienen", bin ich im Nachhinein dafür sehr dankbar. Wir mussten erst unseren Kopf benutzen, bevor wir uns für Hilfsmittel „qualifizieren" konnten. Selbst zu denken und Ideen zu kreieren war genauso wichtig wie sorgfältiges Lernen zu pflegen und ein bunt gefächertes Allgemeinwissen zu entwickeln. Viele meiner Epochenhefte habe ich immer noch! Neben dem „regulären Wissen" wurden außerdem umfassende Konzepte vermittelt, zum Beispiel was die Verantwortung für unsere Erde und den Respekt vor der Natur betrifft. Teilweise habe ich mich „anders“ gefühlt - mit wie vielen Jugendlichen außerhalb der Waldorfschule kann man sich schon über Korbflechten oder Eurythmie unterhalten? Außerdem ist es ja in diesem Alter von vornherein nicht einfach, gegen den Strom zu schwimmen oder wirklich zu verstehen, dass Vielfalt gut für die Gesellschaft ist.

Nach meinem Abitur 1999 ist meine Familie nach Kanada ausgewandert. Ich begann ein Physiotherapie-Studium in Edinburgh, Schottland. Ich hatte dort schon sechs Monate als Gastschüler verbracht. Um mich den Anforderungen der Universität anzupassen, musste ich schnell einen neuen Lernstil entwickeln. Meine Schwester andererseits hatte überhaupt keine Probleme, sich in das hiesige Lernsystem zu integrieren (was ein Beispiel dafür ist, das diese Situation für jeden Schüler individuell ist und man das also auf keinen Fall verallgemeinern sollte). Bald erkannte ich, dass dieser Berufsweg nicht der richtige für mich war und brach nach sechs Wochen das Studium ab. Daraufhin ging ich zurück zu meiner Familie nach Kanada. Ich arbeitete dann ein Jahr als personal support worker (auf deutsch etwa: persönliche Betreuungsarbeiterin) für eine Familie mit mehreren körperlich und geistig behinderten Erwachsenen. Ich fand dabei die Zeit, um meinen „Herzens-Beruf“ zu finden. Seit fast 12 Jahren arbeite ich nun selbstständig als Massage-Therapeutin in einer Gemeinschaftspraxis und ich liebe meinen Beruf nach wie vor. Der Umweg hatte sich gelohnt!

Die Zeit an der Waldorfschule Cottbus hat meinen beruflichen Weg auf mehreren Ebenen unterstützt: Einerseits, weil Vielfalt angeboten wurde; sowohl im täglichen Unterricht als auch in den Praktika. Durch die vielen Themen und praktischen Anwendungen konnten wir verschiedene Berufsgrundlagen „probieren“. So fand ich heraus, dass mich alles um den Menschen herum faszinierte: Anatomie, Physiologie etc. Zudem betätigte ich mich gerne körperlich und bin sozial. Voila! Die handwerklichen Tätigkeiten (Töpfern, Schnitzen, Handarbeiten etc.) haben mir praktische Hilfsmittel und Selbstsicherheit in diesem Feld gegeben, was immer wieder gut zu gebrauchen ist. Zu Hause begonnen und in der Waldorfschule weitergepflegt, begleiten Gärtnern, Musik und Kunst noch immer meinen Alltag - aber auch Kopfrechnen und Bienenkunde haben ihren Platz! Mein Mann und ich wohnen auf dem Land, machen vieles selbst und versuchen im Einklang mit der Natur zu leben. So passen all diese Grundlagen gut in unser Leben. Ich blicke sehr dankbar auf meine Schulzeit zurück und werde immer wieder gerne zu Besuch kommen!

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